zwischen Altem und Neuem
Johannes verbringt ein Studienjahr in Jerusalem. Dort ist auch der folgende Artikel über Kontraste entstanden. Mehr von Johannes findet ihr auch unter: https://nordlichtjerusalem.wordpress.com/
Orthodoxie ist meist bärtig. Und davon gibt es hier in Israel eine Menge, jüdische und christliche. Der Bart steht für etwas Gewachsenes, Bewährtes, das durch sein Alter eine gewisse Würde ausstrahlt. (Und natürlich steht der Bart für eine Religion, die immer noch Männersache ist.) Stetigkeit ist die Leitidee: Väter reichen es an ihre Söhne weiter, Bischöfe an die nachfolgenden Bischöfe und so gehen die Jahrhunderte ins Land. Orthodoxe Juden sehen sich in einer direkten Linie mit der Sinai-Generation verbunden, orthodoxe Christen mit den ersten Aposteln.
Protestanten sind seltener bärtig. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass der reformatorische Glaube jünger und gottlob auch femininer ist, sondern auch mit dem Bewusstsein, dass die Tradition manchmal einen Schnitt zurück oder einen Sprung nach vorn braucht, um sich selbst treu zu bleiben. Der evangelische Propst von Jerusalem ist in den ökumenischen Versammlungen der christlichen Oberhäupter gar der einzige ohne Bart. Was sagt das über uns Christen aus, abgesehen von ästhetischen Differenzen?
Was jahrhundertelang weitergegeben wird, muss sich bewährt haben. Dass es nach zweitausend Jahren noch immer ein wachsendes Christentum gibt, bestärkt mich darin, dass unsere Wurzeln wahrhaftig ans lebendige Wasser reichen. Doch bewährt sich jeder Zweig noch heute? – „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
Wenn sich etwas verwachsen hat und die überkommene Weisheit als Dummheit dasteht, wird es Zeit für eine Rasur und einen Neuanfang. So wie Christus Anfang und Ende ist, will er auch der ständige Neuanfang sein. Es kann nie darum gehen, unser Haupt zu verleugnen, sondern das zu kürzen, was mit der Zeit darauf gewachsen ist. So sind manche Äste unseres Glaubens trotz ihres Alters noch grünend und lebendig, und manche jungen Triebe gesellen sich kraftstrotzend dazu.
Wenn wir Christen also bärtig-bewährt und gleichzeitig auch rasiert-reformiert sind, haben wir ein spannendes Verhältnis zur Tradition und zur Freiheit, Neues zu wagen. Das Beste und Nötigste aus beiden Welten:
Einerseits sind auch wir von der unvordenklichen Gottesweisheit her gewachsen, andererseits wollen wir uns vor allzu knorrigem Auftreten hüten.
Einerseits ist unser Glaube gar nichts so Neues, andererseits birgt er die Kraft, Leben zu verändern, als entstünde es neu. Solange wir das zulassen, bleibt unser Baum in seinen Kontrasten lebendig – und trägt seine Frucht zu seiner Zeit.