Gedanken zu Lukas 3
Johannes steht in der Wüste und ruft zur Umkehr auf. Wer seine Sünden bereut und sich bessern will, der soll sich zum Zeichen dafür im Jordan taufen lassen. Er ist als Prediger und Täufer bekannt, Menschenmassen pilgern zu ihm, um ihn zu hören – und er ist wütend:
„Otterngezücht, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet!“ „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“
Die Menschen fragen: „Was sollen wir tun?“
Und Johannes antwortet:
„Wer zwei Hemden hat, gebe dem, der keines hat, und wer Speise hat, tue ebenso.“ Den Zöllner*innen erklärt er: „Fordert nicht mehr, als euch zugeschrieben ist“, und den Soldat*innen: „Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold.“
Altbekannte Forderungen
Johannes fordert hier Dinge, die wir so schon bei den Propheten Jesaja, Ezechiel oder Hiob finden – es handelt sich hier also keineswegs um radikale Forderung, sondern um seit langem selbstverständliche Grundsätze der Armenfürsorge.
Bei den Dingen, die Johannes hier fordert, handelt es sich um den absolut minimalen gesellschaftlichen Konsens, wie eine gerechte Gesellschaft auszusehen hat. Johannes beschreibt hier Grundsätze, die allgemein bekannt sein sollten.
Mir kommt da dasLied eines Kabarettisten namens Bo Burnham in den Sinn: From God’s Perspective – aus Gottes Perspektive. Es beschreibt, wie der Künstler sich vorstellt, dass Gott auf die Erde schaut, und an der Menschheit verzweifelt:
“The books you think I wrote are way too thick. Who needs a thousand metaphors to figure out you shouldn’t be a dick.”
Die Bücher, die ihr denkt, dass ich geschrieben hätte, sind viel zu dick – wer braucht Tausende von Metaphern, um zu begreifen, dass man kein Arschloch sein sollte.
Ich höre aus dieser Liedzeile eine Frustration, wie ich sie selbst so oft empfinde.
Warum werden seit Jahrtausenden in so vielen Religionen und Wertegemeinschaften dieselben ethischen Forderungen wiederholt – und warum sind sie immer noch aktuell?
Mir fällt es schwer, an dieser Frage nicht zu verzweifeln, nicht die Hoffnung aufzugeben, wenn ich in die Welt schaue, die stetig wachsende Schere zwischen Arm und Reich sehe, die andauernde Diskriminierung marginalisierter Menschen, die immer weiter fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Aber auch, wenn ich meine eigenen Entscheidungen sehe, die zeigen, wie sehr ich ein Teil dieser Welt bin, wie sehr ich immer wieder zur Erhaltung und Verschlechterung genau dieses Zustandes beitrage.
Johannes ist wütend
Und dann lese ich diese Predigt von Johannes dem Täufer, der dieselben Dinge wiederholt, die Prophet*innen seit Jahrhunderten gepredigt haben – und ich spüre seine Wut, und in dieser Wut spüre ich Hoffnung.
Er ist wütend angesichts von Menschen, die nur darauf achten, ihren eigenen Reichtum beisammenzuhalten.
Er ist wütend angesichts von Menschen, deren einziges Interesse es ist, sich selbst zu bereichern.
Er ist wütend angesichts einer Herrschaftsklasse, die ihre Macht und Privilegien ausnutzt.
Johannes weigert sich, sich an das immer wiederkehrende Unrecht zu gewöhnen. Er erinnert Leute an Dinge, die sie eigentlich schon längst wissen. Er ruft ihnen ins Gedächtnis, dass der Zustand dieser Welt nicht in Ordnung ist, egal, wie lange es schon genau so gewesen ist.
Johannes ist nicht gleichgültig geworden, nicht resigniert oder verbittert. Er ist wütend, weil er nicht aufgegeben hat.
Er ist voller Hoffnung auf eine bessere Welt. Und er will diesen Wandel nicht morgen, nächste Woche oder irgendwann im Jenseits, sondern heute, jetzt.
„Otterngezücht – Wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entgehen werdet?“
Wir lassen euch nicht damit davonkommen.
In Wut steckt Kraft
Wenn ich Johannes‘ Worte lese, muss ich an Greta Thunberg denken, wie sie vor dem UN-Klimagipfel steht, voller Wut. Wie sie sich weigert, die Beschwichtigungen der Älteren weiter hinzunehmen, sondern diese anklagt:
How dare you?
We won’t let you get away this.
Wie könnt ihr es wagen?
Wir lassen euch nicht damit davonkommen.
Ich sehe, wie sie mit ihrer Wut, mit ihrer Weigerung, sich an die Zustände zu gewöhnen, eine weltweite Bewegung ins Leben ruft – Fridays for Future, eine Bewegung, angeführt von jungen Menschen, die sich angesichts der drohenden Katastrophe nicht länger vertrösten lassen wollen, sondern einen Kurswechsel fordern.
Was die verschiedenen Klima-Aktivist*innen erzählen, sind keine neuen Erkenntnisse. Die wenigsten von ihnen saßen jahrelang in einem Forschungslabor und haben lange und geduldig meteorologische Daten ausgewertet, um am Ende zu dem Schluss zu kommen: Das mit dem CO2 ist eine ganz schlechte Idee, wir zerstören damit gerade unsere Lebensgrundlage, lasst uns das besser mal lassen. Sie wiederholen lediglich Warnungen, die seit Jahrzehnten wissenschaftlicher Konsens sind, und seit Jahren einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind – seit Jahren uns allen bekannt. Sie erinnern uns mit ihren Plakaten an Dinge, die wir eigentlich schon lange wissen: There is no planet B – es gibt keinen Ersatzplaneten.
Viele Bewegungen, die für eine gerechtere Welt kämpfen, greifen ethische Forderungen auf, die mir selbstverständlich erscheinen.
Seenotrettung ist kein Verbrechen.
Black Lives Matter.
Nein heißt Nein.
Ganz einfache Forderungen wie: Wer zwei Hemden hat, gebe dem, der keines hat.
Ich will wieder wütend werden
Die Menschen, die die Welt zum Besseren verändern, sind die, die sich weigern, Dinge hinzunehmen, nur weil sie schon immer so gewesen sind. Die Dinge wiederholen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, so lange, so wütend, so voller Hoffnung, bis Menschen bereit sind, ihnen zuzuhören.
Ich will mich wieder davon anstecken lassen.
Ich will wie die Menschen dieser Erzählung sein, die sich den Wutanfall gefallen lassen, die zuhören, sich nicht davor verschließen.
Ich will mich, wie Johannes und wie so viele andere Menschen, nicht an den Zustand dieser Welt gewöhnen.
Ich will mich nicht gewöhnen an das Leid und das Unrecht, das täglich in dieser Welt geschieht.
Ich will mich nicht gewöhnen an die ständig wachsende Ungerechtigkeit.
Ich will mich nicht gewöhnen an die Ausbeutung unserer Lebensgrundlagen, an den teils absurden Konsum in unserer Gesellschaft – auf Kosten von Menschen in anderen Teilen dieser Welt.
Ich will nicht resignieren, sondern wieder wütend, wieder hoffnungsvoll werden. Ich möchte an eine andere Welt glauben und zusammen mit anderen Menschen für diese kämpfen.
Oder wie es Bo Burnham am Ende seines Liedes sagt:
Maybe life on earth could be heaven
Doesn’t just the thought of it make it worth a try?
Vielleicht könnte schon das Leben auf Erden das Paradies sein – wäre nicht alleine dieser Gedanke einen Versuch wert?