Nachdem ich mit 15-16 bereits das Privileg hatte, ein Jahr in Atlanta, Georgia zur High School zu gehen, hab ich mich 8 Jahre später erneut auf den Weg gemacht, um ein Jahr an der Emory University- Candler School of Theology zu studieren. Meine Fakultät an der Georg-August-Universität Göttingen hat seit 41 Jahren ein Austauschprogramm mit Candler und 2019/2020 hatte ich das Glück, den Platz zu erhalten.
Mit nun 23-24 Jahren, alt und weise, habe ich beschlossen, mein Jahr nicht nur zu genießen, sondern auch all die Möglichkeiten zu nutzen, die mir über den Weg laufen. Anstatt also Seminare zu besuchen, die mir sicher angerechnet werden können, habe ich beschlossen einfach das zu wählen, was mich interessiert und das war viel. Durch zahlreiche praktische Herangehensweisen und mehr aktuelle Bezüge zu Politik und sozialer Gerechtigkeit habe ich während meines Jahres mein Theologiestudium noch einmal ganz neu schätzen gelernt. So ging es für mich jeden Montag als Seelsorgepraktikantin in ein Hochsicherheitsgefängnis für Frauen. Allein über diese Erfahrung und die beeindruckenden Gespräche könnte ich Tage reden und bin unglaublich dankbar, dass ich an diesem Programm teilhaben durfte. In meinen restlichen Seminaren habe ich mich mit der amerikanischen Geschichte und vor allem dem Civil Rights Movement auseinandergesetzt. Für eine Hausarbeit, die ich geschrieben habe, hatte ich die Ehre eine Civil Rights Aktivistin zu interviewen. Dies endete in einem wundervollen vierstündigen Gespräch über die Probleme, die noch heute das Leben vieler People of Color schwer beeinträchtigen.
Durch viele amerikanische Freunde, die ähnliche Erfahrungen mit mir geteilt haben und durch meine Erfahrung im Gefängnis, habe ich das Gefühl die USA wirklich in vielen Facetten kennen gelernt zu haben. Mit diesen Facetten geht auch einher, dass trotz aller Probleme wie sozialer Ungerechtigkeit, Masseninhaftierung, Waffengewalt oder Rassismus es nicht hoffnungslos ist, sondern ganz im Gegenteil: Viele der großartigen Menschen, die ich während meines Jahres kennengelernt habe, sind stark engagiert, Dinge zu verändern, was im Angesicht der politischen Lage, für eine enorme Stärke spricht. Diese starken und großartigen Menschen sind es auch, die mich mit warmen und offenen Herzen empfangen haben. Da wurde nicht lange überlegt, sondern ich wurde direkt im traditionellen, großen amerikanischen Truck durch Atlanta gefahren und als die Skyline vor uns auftauchte, habe ich instinktiv wieder meine Liebe zu dieser Stadt gefunden. Es braucht etwas Zeit und einige gute Stadtführer*innen, bis man Atlanta vollkommen begriffen hat, aber sobald man das geschafft hat, findet man von urigen Bars, über Musik und Parkfestivals in den Sommermonaten, bis hin zum Axtwerfen als Freizeitaktion alles, was das Herz begehrt. Die Südstaaten-Großstadt ist gefüllt mit jungen Menschen jedweder Herkunft, die Laune der Leute ist stets gut und generell herrscht eine herrliche Gelassenheit. Die Gelassenheit ist charakteristisch für den Süden und hat mir viele gemütliche Käffchen beschert, wenn ich mit Freunden eine Auszeit vom Unistress genommen habe. Ich bin wahnsinnig dankbar, all diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen und kann es nur jeder*jedem empfehlen, sich umzuschauen und die Chance auf ein Auslandsstudium zu ergreifen, wenn sich diese ergibt. Man lernt dabei, so cheezy das auch klingen mag, etwas fürs Leben.
Bild zeigt Civil Rights Aktivistin und Black Panther Mitglied Angela Davis zu Besuch an der Uni und in unserem Seminar.