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Das Jüngste Gericht

Die Gedanken, die aufsteigen, wenn vom Jüngsten Gericht die Rede ist, sind dunkel und düster. Etwas Bedrohliches schwingt mit, etwas Hartes, Strenges. Da werden die Menschen in zwei Gruppen sortiert, da wird abgeurteilt und letztgültig unterschieden zwischen gut und böse. Oftmals sind die Gedanken aber auch leer und voller Fragezeichen – denn das Jüngste Gericht, was soll das anderes sein als ein Relikt vergangener Zeiten? Etwas Unzeitgemäßes, etwas aus der Zeit Gefallenes?

Aus der Zeit gefallen ist es tatsächlich, denn es wird nicht als irdisches Gericht hier auf Erden gedacht, sondern als Gericht am Ende der Zeiten. Am Ende – wenn alles gesagt und getan ist. Am Ende – wenn vieles unwiderruflich ungesagt und ungetan bleibt, weil die Zeit abgelaufen ist. Am Ende – wenn es keine Möglichkeiten mehr gibt. Nicht, weil sie ausgeschöpft wären, sondern weil die Zeit der Existenz auf der Erde vorüber ist. An diesem Ende steht ein Jüngstes Gericht.

Wenn eine bestimmte Phase zu Ende geht, ein Lebensabschnitt hinter einem liegt, z.B. die Schulzeit oder das Studium, blicken manche zurück und ziehen Bilanz. Was war gut an diesem Abschnitt? Was nicht? Möchte ich in Zukunft etwas anders machen? Manchmal tut es auch gut, bestimmte Dinge abzuschließen, sie abzuschütteln, bevor etwas Neues beginnt. Man will sich vorbereiten. Im Jüngsten Gericht kommt das gesamte Leben in den Blick, nicht nur eine einzelne Phase. Im Unterschied zum irdischen Leben gibt es keine Möglichkeit des Vergessens, des Verdrängens oder Beiseitewischens. Alles kommt auf den Tisch und ans Licht. Als Licht der Wahrheit scheint es auf unser Leben. Es ist ein vielgestaltiges Licht. Hart und grell, wenn es auf Dinge fällt, die unrecht waren, wenn es die unsäglichen Verbrechen ans Licht zieht. Aber auch sanft und warm, wenn es die Augenblicke bescheint, die zärtlich und liebevoll waren. Es ist kraftvoll und stärkend und tröstlich, wenn es ins Dunkel des ungesehenen Leides leuchtet. Im Jüngsten Gericht wird all das und noch viel mehr offenbar. Darin liegt sowohl die Angst vor dem Licht der Wahrheit wie die Hoffnung begründet.

Im Jüngsten Gericht begegnen wir Gott. Gott… dem Grund aller Wahrheit. Gott, den wir in unserem Leben gesucht haben, vergessen haben, gelobt haben, aus den Augen verloren haben. Gott, an dem wir gezweifelt haben, der uns egal war, der uns fern war und nah war. Gott, der schon immer auf dem Weg zu uns war – bei ihm münden unsere Wege ein. Gott, Jesus Christus und der Heilige Geist erwarten uns. Das ist das Entscheidende! Nicht irgendwer, sondern der Gott, der uns so nah sein wollte, dass er selbst Mensch wurde. Jesus Christus, der alle zu sich rief, die Mühseligen, die Außenseiter*innen, die Kranken, die Stolzen, die Reichen, die Eifrigen. Und mit ihm der Heilige Geist, von dem wir alle in unserem Leben ab und an einen Hauch verspüren.

Vor diesen drei, diesem einen Gott, eröffnet sich unser Leben in seiner ganzen Fülle. Dies kann schmerzhaft sein. Denn oft genug haben wir das Eigentliche, das Richtige, das Wichtige verfehlt. Je größer unsere Schuld, desto schmerzhafter ihre Offenlegung. Hier hat das Motiv des Fegefeuers vielleicht seinen Platz. Die Schuld soll aber nicht mit ins ewige Leben genommen werden, sie soll nicht verewigt werden. Darin liegt eine, den Schmerz der Wahrheit weit übersteigende Gnade. Statt die Schuld für immer festzuschreiben, wird sie in ihrer Aufdeckung vergeben. Das ist möglich, weil bereits am Kreuz die grundlegende Schuldhaftigkeit der Welt bearbeitet wurde. Es gibt keine oberflächliche Vergebung, das Leid kann nicht einfach vergessen werden. Doch am Kreuz wurde es durchlebt, sodass es uns nicht mehr vernichten kann, weil es nicht das letzte Wort hatte.

Es gibt aber auch Augenblicke und Dinge im Leben, von denen wir wünschen, sie würden nie vergehen. Auch diese haben ihren Raum. Alles, was sich uns an Liebe, an Zärtlichkeit, an Freude, Glück und Nähe im Leben eingeprägt hat, was sich uns in Seele und Leib eingeschrieben hat, wird gesehen und durch Gottes liebevollen Blick der Vergänglichkeit entzogen.

Und so dient das Jüngste Gericht der Wahrheit und der Gerechtigkeit und der Vorbereitung – indem die Schuld offenbar wird, das Böse vernichtet, das Leid gesehen und geheilt, indem aber auch das Gute festgehalten wird.

Im Jüngsten Gericht gelangen wir durch die Wahrheit hindurch zum ewigen Leben.

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